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Von Antje Mayer,Manuela Hötzl.

Bratislava – Ehrenplatz oder Reservebank?

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die zeitgenössische Szene international etablieren wird.

Privates Engagement einzelner Kulturschaffender und inoffizielle Netzwerke: Die Stärke Bratislavas entwickelt sich aus dem Kleinen heraus. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die zeitgenössische Szene international etablieren wird. Von Manuela Hötzl und Antje Mayer

Small causes create complex phenomena“: Wohl kaum eine These trifft auf ein aus dem Kleinen heraus entstandenes Kulturnetzwerk so sehr zu wie jenes in Bratislava. Und dennoch. Die Hauptstadt der Slowakei leidet mehr als andere ehemalige Ostblockstädte am geringen Engagement ihrer Kulturpolitiker, die sich nach 1989 eher an einer bedingungslos profitorientierten Kommerzialisierung der Kultur orientierten als an der sensiblen Entwicklung einer emanzipierten Kulturszene. Vielleicht auch deswegen, weil die Vergangenheit und die Zukunft einer slowakischen Identität immer unklar waren und noch sind. Auch die slowakische Architekturhistorikerin Henrieta Moravcíková äußert sich skeptisch zur Zukunft der Stadt: „Bratislava fehlt, wie dem ganzen Land, eine Zukunftsvision. Niemand weiß, welche Rolle die Slowakei im Allgemeinen und Bratislava im Besonderen in der EU spielen sollen. In Bratislava kommt noch der Komplex, wegen seiner Größe als Vorstadt von Wien zu gelten, dazu.“ Bratislava ist mit knapp 450.000 Einwohnern nicht nur eine kleine Stadt, sondern auch die jüngste Hauptstadt in der Europäischen Union. Sie zeigt sich als sympathisches urbanes Dorf mit jugendlichem Hauptstadtflair, obwohl (oder gerade weil?) die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen bei erschreckenden 30 Prozent liegt.
Keine Extravaganzen haben die Geschichte der Stadt und ihrer Bauten geprägt. Übertriebenen Historismus und postmoderne Auswüchse, wie man sie in vielen osteuropäischen Metropolen findet, entdeckt man kaum. Dafür gibt es vereinzelte Schmuckstücke aus der Moderne, dem Funktionalismus oder dem Sozialen Realismus. Am Donauufer ist das Hotel Devine, ein Torso der Moderne, und die nahe Nationalgalerie hervorzuheben. Der Charme des Ostblocks ist nur noch vereinzelt, vor allem in dem grauen Plattenbau-Dschungel Petrzalka, präsent. Investiert wird derzeit offensichtlich nicht so sehr in Architektur, sondern in eine Infrastruktur, bei der weniger ästhetische Gesichtspunkte als das Motto „Hauptsache, es funktioniert!“ im Vordergrund steht. Einen Stadtraum als symbolischen Ort für eine lokale Identität zu entwickeln ist wohl eher zweitrangig.
Bratislava war jahrhundertelang durch seine geografische Lage im Zentrum Europas Begegnungspunkt verschiedenster Kulturen aus Ost und West. Die Slowakei hat Grenzen zu fünf Ländern: zu Tschechien, Österreich, der Ukraine, Polen und Ungarn. Die Einflüsse aller dieser Kulturen sind in Bratislava zu spüren. Der Schriftsteller Claudio Magris zitiert in seinem Reisebuch „Donau“ den slowakischen Autor Vladimir Minác anlässlich seines Aufenthalts in Bratislava: „Über Jahrhunderte sind die Slowaken ein unbeachtetes Volk gewesen, ein dunkler Nährboden ihres Landes, ein Stoff ähnlich jenem aus Stroh und getrocknetem Mist, der die drevenice [für die ländliche Baulandschaft der Slowakei typische Holzhäuser] zusammenhält. Wir haben keine Geschichte, sofern diese aus Königen, Kaisern, Herzogen, Fürsten, Siegen, Eroberungen, Gewalttaten und Raubzügen besteht.“
Auf welche Geschichte blickt die Slowakei also zurück? Welche Zukunft entsteht daraus? Zwei Ausstellungen – so unterschiedlich sie sind – zeigen die Notwendigkeit einer Spurensuche auf verschiedenen Ebenen: zum einen die Schau „Slovak Myth“ in der Slowakischen Nationalgalerie, die die slowakische Vergangenheit aus volkskund-licher Sicht beleuchtete; zum anderen die Ausstellung „Július Koller – Univerzálne Futurologické Operácie“ im Kölnischen Kunstverein (2003), in der der slowakische Künstler Roman Ondák erstmals die Rolle der Kunst der 1960er und 1970er Jahre in der Slowakei aufarbeitete. Volkskundler und Kunsthistoriker im Westen lächeln oft über Schauen dieser Art, die die Zeit vor der „Öffnung“ thematisieren – doch für die Slowakei finden sie erstmals statt und bilden „die Grundlage für eine neue Selbstfindung, die ungemein wichtig ist“ (Boris Ondreicka). Basisarbeit ist vonnöten, die nach außen kommuniziert wird und intern Anregung für die Szene bietet, was in Bratislava derzeit weniger offizielle Institutionen als aktive Einzelpersonen leisten.
Zwei der umtriebigsten sind die BURUNDI-Leiterin Maria Risková und der Künstler, Kurator und Musiker Boris Ondreicka, der im letzten Jahr Teilnehmer des slowakischen Pavillons bei der Biennale von Venedig war. Er leitet seit 2003 das von der Erste Bank initiierte Kulturförderungsprogramm „tranzit“, das seit vergangenem Jahr auch einen fixen Ausstellungs- und Veranstaltungsort, tranzit workshops, auf einem verlassenen Fabriksgelände im Norden Bratislavas besitzt. Es ist der erste große Raum in der Stadt, der sich regelmäßig der Präsentation zeitgenössischer Kunst widmet (inklusive eines Rahmenprogramms) und 30 Künstlern Ateliers zur Verfügung stellt.
Es ist bezeichnend für die Kulturpolitik, dass dieser Ort privat finanziert wurde. Auch Maria Risˇková, Künstlerin, Kuratorin und Kunsthistorikerin, startete in privater Initiative mit ihrer Wohnungsgalerie Buryzone, die sie 2001 zusammen mit der Designergruppe STUPIDesign gründete. Dort fanden mittlerweile legendäre Freitagsevents mit wilden Partys und Performances statt. Auch sie hat 2005 einen Ort für ihr neues Projekt mit dem Namen „BURUNDI datalab“ in den tranzit workshops gefunden, eine Art Mediathek, Infothek und Research-Plattform.
Als alternativer Ort ist im Zentrum Bratislavas noch das Kulturhaus A4 zu finden, ein inoffizielles Kulturnetzwerk, wo Tanz, Theater, neue Oper, neue Medien, elektronische Musik und Architektur präsentiert werden. Überschaubar ist auch die Galerienszene: Genau genommen bilden die Galéria HIT, eine im Keller der Akademie der bildenden Künste gelegene Galerie für junge Kunst, die von Juraj Carny geleitete Galéria Priestor for Contemporary Arts und die Kuratorenkooperative Billboart Gallery Europe, die sich auf Aktionen im öffentlichen Raum konzentriert, zusammen ein einziges spartenübergreifendes Netzwerk. Auch die Kommunikation über die Grenzen des Landes hinaus passiert nur vereinzelt und meistens über Personen aus der Kulturszene, etwa Juraj Carny, Maria Risková oder Boris Ondreicka, ebenso wie über international allmählich bekannter werdende und viel reisende KünstlerInnen wie Roman Ondák oder Anetta Mona Chisa. Was auf persönlicher, privater Ebene funktioniert, kann die Stadt offiziell noch nicht anbieten. Im Eingang der Galéria HIT hing vor kurzem ein Plakat mit einer Ankündigung von internationalen Architekten, die dort vortragen sollten. Es fand kein einziger Event statt. Auch die Pläne für ein neues Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bratislava sind inzwischen bis auf weiteres „aus Desinteresse“ (Boris Ondreicka) auf Eis gelegt. Ganz ohne staatlich geförderte Kulturpolitik ist es für die engagierten Kulturproduzenten in Bratislava eben schwer. Aber vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich außer den in der Slowakei bestehenden, vorwiegend konventionellen 70 Museen, 20 Galerien und zig Kulturfestivals auch eine zeitgenössische alternative Szene international etablieren kann.
Der Schriftsteller Claudio Magris jedenfalls ist optimistisch: „Bratislava ist trotz allem heiter und lebensvoll, eine vitale und expandierende Welt, nicht der Melancholie der Vergangenheit, sondern der Entwicklung und der Zukunft zugewandt.“

KUNST, ESSEN, AUSGEHEN UND AUSSCHLAFEN

Kunst


tranzit workshop space
Auf dem Areal der Firma Soravia konnten die slowakischen Künstler Laco Teren und Boris Ondreička vier Hallen belegen. Mit Ateliers, Werkstätten und Vortragsräumen stehen auf dem ehemaligen Industriegelände insgesamt 1500 Quadratmeter Ausstellungs- und Arbeitsfläche zur Verfügung. Damit ist die neue „Kunsthalle“ der größte Raum für zeitgenössische Kulturproduktion in der Slowakei.
Haly Studená 12
lehocka@nextra.sk , www.tranzit.org


SPACE / Galéria Priestor for Contemporary Arts

Die Galerie in einem Luftschutzbunker eines Wohnhauses, der von der darüber gelegenen Werbeagentur finanziert wird, ist Bestandteil des „Crazy Curators“-Netzes. Schwerpunkt: zeitgenössische Kunst aus Zentraleuropa. Kuratoren- und Autorenausstellungen. Betreiber der Galerie ist seit dem Jahr 2000 der umtriebige Kurator Juraj Carny. Somolického 1/BTel.: +421/2/54 41 82 63-64 gallery@priestor.org oder join@crazycurators.org , www.priestor.crazycurators.org

Galéria HIT

Ein offener Ausstellungsraum, der sich auf die jüngste Generation zeitgenössischer Künstler spezialisiert hat. Er befindet sich im Gebäude der Akademie der bildenden Künste in Bratislava, im Stadtzentrum. Hier werden auch Arbeiten von Kunststudenten aus der Slowakei und anderen mitteleuropäischen Ländern gezeigt.
Hviezdoslavovo námestie 18
Tel.: +421/908/79 09 42
info@galeriaHIT.com , www.galeriaHIT.com


A4 – nultý priestor / A4 – Zero Space
Eines der Zentren zeitgenössischer Kultur in der Hauptstadt. Eine Art experimentelles Netzwerk nichtstaatlicher Organisationen mit dem Fokus auf zeitgenössischen Tanz, Theater, neue Oper, neue Medien und elektronische Musik.
Námestie SNP 12
Tel.: +421/908/52 27 25
info@a4.sk , www.a4.sk


Galéria Médium

Die Galerie der Hochschule der bildenden Künste, die auch andere als nur Studentenprojekte unterstützt.
Hviezdoslavovo námestie 18
Tel.: +421/2/54 43 53 34
medium@vsvu.sk , www.vsvu.sk/gal.php?dep


Open Gallery – Centrum súcasného umenia
Die Galerie des ehemaligen Soros-Zentrums, die verschiedene Bereiche zeitgenössischer Kunst wie Video, Malerei und Performance miteinander verknüpft.
Baštová ul. 5
Tel.: +421/2/54 41 33 16
info@scca.sk , www.scca.sk


Slovenská národná galéria
Die Slowakische Nationalgalerie, die sich allen Epochen slowakischer Kunst widmet, hat in den vergangenen Jahren eine Art Frischzellenkur erlebt. Junge Kuratoren kümmern sich im Haus auch zunehmend um moderne und zeitgenössische Kunst.
Riecna 1Tel.: +421/2/54 43 20 81-2 info@sng.sk , www.sng.sk

AG Slovenská virtuálna galéria

Die Plattform sammelt Informationen über alle Galerieräume, informiert über aktuelle Ausstellungen, Galerieadressen und bietet zudem eine Artikelübersicht zur Kultur und Kunst in der Slowakei.
www.artgallery.sk

Billboart Gallery Europe

Ein orginäres internationales Netzwerk von Galerien, die ihre Kunstwerke und Ausstellungen auf Werbeflächen in verschiedenen Städten in Mitteleuropa präsentieren.
Somolického 1/B
Tel.: +421/2/54 41 82 62-123
info@billboart.org , www.billboart.org


Multiplace Festival

Hat bisher dreimal im Frühjahr stattgefunden. Ein Festival für neue Medien, das mehrere unabhängige Veranstalter in der Slowakei einbindet: Konzerte, Workshops, Clubbings, Videoshows, Vorträge, Seminare.
babuta@34.sk>

Gandy Gallery

Nach dreizehn Jahren in Prag eröffnete die Gandy Galerie einen neuen Raum in Bratislava. Die Galerie vertsteht sich als ein Laboratorium für Kunst und Design.
Panenská 30
Tel.: +421/2/54410801
info@gandy-gallery.com ; www.gandy-gallery.com



Essen und Trinken


Café Verne

Im Haus der Akademie der bildenden Künste. Nicht nur Boris Ondreička sitzt dort, sondern ganz Kultur-Bratislava trifft man in diesem Café. Es ist im Omastil gestylt, liegt zentral und ist günstig (Zigaretten kann man sogar einzeln kaufen).
Hviezdoslavovo námestie 18
Tel.: +421/2/54 77 17 67


Café Parnas
Als ob die Zeit in den 1970ern stehen geblieben wäre – hier findet man noch richtige Bohemiens, preiswertes Bier, Wein, Zigarettenqualm und existenzialistische Debatten.
Furchtbare Einrichtung, aber lustig.
Panska 12
Tel.: +421/2/54 43 35 41


Chez David
Pension und jüdisches Restaurant, inkl. koscherer Weinkarte. Ruhig, gemütlich und nicht teuer. Direkt unter der Burg.
Zamocka 13
Tel.: +421/2/54 41 38 24


U Mamicky
Serbische und mazedonische Küche. Tolle Fisch- und Grillgerichte.
Palisady 40
Tel.: +421/2/54 43 46 18


Restaurant Bagl’s

Hier kann man traditionelle mitteleuropäische Küche genießen: deftiger Schweinebraten & Co. Gute Weinkarte.
Námestie SNP 1
Tel.: +421/2/54 41 03 60



Ausgehen

Subclub (ehemals U-Club)

Wenn man abends in Bratislava cool ausgehen will, dann dorthin: befindet sich in einem ehemaligen Luftschutzbunker am Fuße des im Zentrum von Bratislava gelegenen Burgberges. Der Tanzclub war viele Jahre ein überregional bekannter Ort für Techno und Elektronikmusik, aber auch Punk und Gothic.
Nábrezie arm. gen. L. Svobodu
Tel.: +421/904/94 91 05
subclub@subclub.sk , www.subclub.sk


Babylon Music Club
Liveclub für größere Konzerte. Musik von Punk, Underground bis Alternative.
Karpatská 2
musicacademy@babylonclub.sk , www.babylonclub.sk


Café Kut

Kleines, sympathisches Café. Viele Künstler und Leute aus der Kunstszene. Freitags Dub und Reggae.
Zamocnicka 11
Tel.: +421/2/54 43 49 57
kut@prasnabasta.sk , www.kut.prasnabasta.sk



Ausschlafen


Botel Marina
Wie schon der Name verrät, befindet sich dieses Hotel auf einem Schiff, das das ganze Jahr über am Ufer der Donau angelegt hat. Nur zehn Minuten von der Burg entfernt. Komfortable Mittelklasse (ca. 60 Euro).
Nábrezie arm. gen. L. Svobodu
Tel.: +421/2/54 64 18 04
info@botelmarina.sk , www.botelmarina.sk


Hotel Kyjev
Das günstigste und größte Hotel im Zentrum von Bratislava. Erbaut in den 1970ern für kommunistische Geschäftsleute (40–80 Euro).
Rajska 2
Tel.: +421/2/59 64 11 11
rezervacia@kyjev-hotel.sk , www.kyjev-hotel.sk


Hotel Gremium
Eher eine Pension für weniger Anspruchsvolle. Aber mitten in der Stadt und sehr nett (25–50 Euro).
Gorkeho 11
Tel.: +421/2/54 43 06 53
info@gremium.sk , www.gremium.sk


Hotel Devin
Dieses Hotel ist der Tipp in der Luxusklasse. Eine denkmalgeschützte Perle aus der Zeit zwischen Funktionalismus und Sozialem Realismus. Direkt an der Donau (125–180 Euro).
Riecna 4



Text erschienen in spike ART QUARTERLY Nr. 7/2006